Vorabveröffentlichung eines Gastbeitrags von Prof. Dr. Reinhard Busse für das dialoQ Magazin Nr. 23
Warum muss es eine Krankenhausreform geben?
Die deutsche Krankenhauslandschaft ist gekennzeichnet durch eine im internationalen Vergleich hohe Zahl von kleinen und wenig spezialisierten Krankenhäusern, vielen Betten (ca. 50% mehr als im EU-Durchschnitt, vielen stationären Fällen (ebenfalls ca. 50 % mehr als im EU-Durchschnitt) und dementsprechend einem hohen Personalbedarf. Obwohl pro Kopf der Bevölkerung mehr Gesundheitspersonal als in den meisten Nachbarländern existiert, ist insbesondere das Patienten-Pflegepersonal-Verhältnis pro stationären Fall oder belegten Bett deutlich niedriger.
Es bestehen daher keine bundesweit einheitlichen Definitionen von Versorgungsstufen und kaum Strukturvoraussetzungen, d. h. Voraussetzungen, welches Krankenhaus welche Leistungen erbringen darf (und welche nicht). So behandeln über 1.000 Krankenhäuser Patienten mit transmuralem Herzinfarkt; davon haben aber nur 578 einen Linksherzkatheter. Über 1.100 Krankenhäuser behandeln Patienten mit Schlaganfall; davon haben nur 475 eine Stroke Unit. Und fast 50 % aller Krebspatienten werden außerhalb von Krebszentren behandelt; beim Pankreaskarzinom sind es sogar über 70 %.
Die fehlende Steuerung von Patienten ist problematisch, weil sie zu nachweislich schlechteren Behandlungsergebnissen führt: so ist die Sterblichkeit in Krankenhäusern mit kleinen Fallzahlen bei vielen Indikationen höher. Das WiZen-Projekt konnte zeigen, dass die Sterblichkeit von Krebspatienten, die nicht in Krebszentren behandelt werden, höher als bei Behandlung in Krebszentren ist. Gleiches gilt für Krankenhäuser ohne Stroke Unit im Vergleich zu solchen mit Stroke Unit. Und in Deutschland versterben mit 8,3 % der stationär behandelten Herzinfarktpatienten deutlich mehr als etwa in den Niederlanden mit 2,9 % oder in Schweden mit 3,5 %.
Der Gemeinsame Bundesauschuss hat 2018 erstmalig Mindeststrukturvoraussetzungen für die Notfallversorgung in drei Stufen definiert. Dies war ein wichtiger erster Schritt hin zu einer bundesweit einheitlichen Definition von Versorgungsstrukturen und Schaffung von Transparenz. So ist seitdem klar, dass von den 1.700 Krankenhausstandorten, die nach DRGs abrechnen, nur 9 % der Stufe 3 („Umfassende Notfallversorgung“), 15 % der Stufe 2 („Erweiterte Notfallversorgung“), 37 % der Stufe 1 („Basis-Notfallversorgung“) und 38 % keiner Stufe zugeordnet sind.
Ein weiterer Faktor ist das Geld: obwohl wir mit 3,4 % des BIP mehr für die stationäre Versorgung ausgeben als praktisch alle unsere Nachbarländer, werden dieses Jahr fast alle Krankenhäuser Defizite machen. Während der Corona-Zeit sind viele Patienten und Ärzte etwas abgekommen von der Haltung: besser mal ins Krankenhaus, das kann nicht schaden. Dadurch sind die Patientenzahlen gesunken, gegenüber 2019 um rund 15 %. Rein rechnerisch könnten von den 1.700 Standorten die 850 kleineren schließen, dann hätten die anderen 850 wieder das Patientenvolumen von vor der Pandemie. Das Problem ist also nicht das fehlende Geld, sondern, dass die Größe des Sektors und der Bedarf der Patienten nicht mehr zusammenpassen.
Was hat die Regierungskommission vorgeschlagen?
Der im Dezember 2022 vorgelegte Vorschlag der Regierungskommission zielt darauf ab, diese Probleme zu reduzieren oder gar zu beseitigen, also die nicht immer überzeugende Behandlungsqualität, die mangelnden strukturellen Voraussetzungen (Strukturqualität und Steuerung), den erheblichen Mengenanreiz mit der daraus resultierenden Übertherapie, die damit verbundenen Personalprobleme und nicht zuletzt die von der Solidargemeinschaft zu tragenden Kosten. Im Kern ist der Vorschlag eigentlich banal: Krankenhäuser und ihre Leistungen werden einheitlich kategorisiert – und jedes Krankenhaus darf nur noch die Leistungen erbringen und vergütet bekommen, für die es personell und technisch ausgestattet ist. Im Gegenzug wird die Vergütung so umgestellt, dass Krankenhäuser ihre als bedarfsgerecht und qualitativ angemessen betrachteten Leistungen auch wirtschaftlich erbringen können, ohne nur auf die Fallmenge zu schielen.
Die Veränderung der derzeit fast ausschließlich mengenbezogenen DRG-basierten Vergütung zugunsten eines 2-Säulenmodells durch Hinzufügen einer Vorhaltefinanzierung – bei gleichzeitiger Reduktion der DRG-Komponente – ist daher ein Kernelement der Reform.
Zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung und der bestmöglichen Patientenallokation werden Krankenhäuser zudem in bundeseinheitlich definierte Krankenhaus-Versorgungsstufen (Level) eingeteilt, die es ermöglichen, lokale, regionale und überregionale Versorgungsaufträge mit unterschiedlichem Bedarf an personeller und technischer Ausstattung abzugrenzen. Die Level sollen auf den derzeitigen Notfallstufen aufsetzen.
Um die Mindestqualität auch auf Ebene der bisher kaum nach Leistungsspektrum definierten Fachabteilungen sicherstellen zu können, wird die Einführung eines Systems von etwa 100 Leistungsgruppen empfohlen, für die jeweils spezifische Anforderungen gelten, wenn die Krankenhäuser diese Leistungen erbringen möchten (bzw. sollen): Behandlung von Herzinfarkten nur bei einem Linksherzkatheter, Schlaganfälle nur mit Stroke Unit – und Krebs nur, wenn ein entsprechendes Zentrum zertifiziert ist.
Obwohl der Vorschlag also zu einer deutlichen Verbesserung der Patientenversorgung bei gleichzeitig rationalerer Nutzung der Personalressourcen führen würde, lehnen die Länder einen solchen Eingriff derzeit noch ab. Dabei ist schwer vorstellbar, dass sie die Alternative, nämlich eine ungeplante Veränderung der Krankenhauslandschaft, wirklich präferieren.
Professor Dr. Reinhard Busse, MPH FFPH, Jahrgang 1963, ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der TU Berlin. Er arbeitet seit vielen Jahren u.a. in der vergleichenden Gesundheitssystemforschung. Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter und Gründungsmitglied des Gesundheitsökonomischen Zentrums Berlin (HECOR), Fakultätsmitglied der Charité und Co-Direktor des European Observatory on Health Systems and Policies.